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Predigt vorletzter Sonntag des Kirchenjahres/Volkstrauertag

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Liebe Gemeinde,

man soll ja eigentlich nicht tratschen, aber, ich kann ihnen ja allen vertrauen. Sie sagen das ja nicht weiter, also, was ich da gesehen habe (Theatralische Gestik), das kann ja nicht. Ich glaube es kaum, ich kann es nicht fassen.
Also, ich bin ja nicht neugierig, ich habe das alles nur durch Zufall gesehen, und ich… ich kann das einfach nicht fassen.
Wie kann so jemand Christ sein? Wie kann eine solche Familie Christ sein, und so etwas tun?
Ich habe es ja auch zuerst nur durchs Fenster gesehen, da wollte ich es nicht glauben, aber dann, also am nächsten Tage, da habe ich genauer nachgesehen, letzten Samstag nochmal.
Es ist furchtbar, Christen, und schon früh morgens sündigen sie. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen kann.
Erst das Verbrennerauto, jetzt auch Nutella zum Frühstück. Das geht doch nicht! Das ist meine Meinung, sowas sollte doch verboten sein für Christen, was da alles an Blut und Ungerechtigkeit dranklebt.
Aber… es kommt noch viel schlimmer, also letztes Weihnachten, da waren die nicht in der Kirche, ich kann ja von meinem Küchenfenster aus den Kircheneingang sehen. Die waren einfach nicht da! AN WEIHNACHTEN, zu Beginn der Heiligen Nacht, einfach nicht in den Gottesdienst gegangen. So kann glauben doch nicht funktionieren. Was ist denn wichtiger als dieser Tag?

Paulus schreibt dazu, im ersten Brief an die Römer, Kapitel 14:
1Nehmt gerade den Menschen an, der im Glauben unsicher ist!
Streitet nicht mit ihm über eure unterschiedlichen Auffassungen!
2Der eine glaubt, alles essen zu dürfen. Aber wer unsicher ist, isst nur noch Gemüse.
3Wer alles isst, soll den nicht verachten, der nicht alles isst.
Und wer nicht alles isst, soll den nicht verurteilen, der alles isst.
Gott hat ihn doch angenommen.
4Wer bist du denn, dass du den Diener eines anderen verurteilst?
Es liegt allein im Ermessen seines Herrn, ob er mit seinem Tun besteht oder nicht. Aber er wird gewiss bestehen. Denn der Herr sorgt dafür, dass er es tut. 5Der eine unterscheidet bestimmte Tage. Der andere macht zwischen den Tagen keinen Unterschied. Jeder soll fest zu seiner eigenen Auffassung stehen!
6Wer einen bestimmten Tag besonders beachtet,
tut dies, um den Herrn zu ehren. Wer alles isst, tut dies ebenso, um den Herrn zu ehren. Und er dankt Gott bei seinem Mahl. Wer nicht alles isst, tut das, um den Herrn zu ehren. Und auch er dankt Gott bei seinem Mahl.
7Keiner von uns lebt nur für sich selbst und keiner stirbt nur für sich selbst.
8Denn wenn wir leben, leben wir für den Herrn. Und wenn wir sterben, sterben wir für den Herrn. Ob wir nun leben oder ob wir sterben – immer gehören wir dem Herrn!
9Denn dafür ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden:
Er sollte der Herr sein über die Toten und die Lebenden.
10Du Mensch, was bringt dich nur dazu, deinen Bruder oder deine Schwester zu verurteilen? Und du Mensch, was bringt dich dazu, deinen Bruder oder deine Schwester zu verachten? Wir werden doch alle vor dem Richterstuhl Gottes stehen!
11Denn in der Heiligen Schrift steht:
»›Bei meinem Leben‹, spricht der Herr: ›Vor mir wird jedes Knie sich beugen, und jede Zunge wird sich zu Gott bekennen.‹«
12So wird jeder von uns vor Gott Rechenschaft über sich selbst geben müssen.
13Lasst uns aufhören, uns gegenseitig zu verurteilen!
Achtet vielmehr darauf, den Bruder oder die Schwester nicht zu Fall zu bringen.
Werdet auch nicht zum Stolperstein für sie.

Paulus schreibt hier an die Gemeinde in Rom, eine Gemeinde, die nur vom Hörensagen kennt. Er hat sie nicht gegründet, er war noch nie dort. Aber das soll sich ändern, und bevor er selbst hinreist, legt er die Gemeinde erst einmal seine Theologie und empfiehlt sich selbst.
Was er in diesem Abschnitt Schreibt, scheint einfach zeitlos zu sein, die Konflikte gibt es heute wie damals. Was dürfen wir als Christinnen und Christen, was sollte man sein lassen? Was darf man essen? Darf man als Christ, im Wissen um das Tierleid, im Wissen um die Umweltzerstörung noch Fleisch essen? Darf man noch in den Urlaub fliegen? Was ist erlaubt, was lässt man besser, was ist gar verboten? Wie steht es mit unserer Verantwortung für die Schöpfung und unsere Mitmenschen, mit der Verantwortung unseren Kindern eine gute Welt zu hinterlassen?

Ob die christliche Gemeinde in Rom mit einem ähnlichen Konflikt zu kämpfen hatte, wissen wir nicht, aber Paulus ist ein derartiger Konflikt aus anderen Gemeinde, z.B. der in Korinth bekannt.
Im Kern geht es bei diesem Konflikt um die Frage von Fleischgenuss. Einige lehnen das scheinbar generell ab. Andere halten es für möglich.

Wo bei uns Fragen nach Tierwohl und CO2 Fussabdruck im Vordergrund stehen, waren die Probleme des Fleischkonsums damals andere:

1.Früher gab es häufig sakrale Schlachtungen, das Fleisch wurde später auf dem Markt verkauft. An welchem Tempel das Tier geschlachtet wurde, war dann häufig nicht mehr zu erkennen. Besonders in Rom steht zu erwarten, dass Fleisch, dass hier verkauft wird, zu einem sehr großen Teil aus Tempelschlachtungen stammen wird. Aß man so als Christ so unreines Fleisch, da es für eine andere Gottheit, also einen Götzen, geschlachtet war? Schadet mir das? Jemand, der unsicher im Glauben war, dachte vielleicht so.

2.Ebenso kann man den Text auf die Speisevorschriften des Judentums beziehen. Ist das Fleisch, dass ich hier auf dem Markt kaufe, wirklich koscher? Ist kein Blut mehr drin?
Der sichere Ausweg ist, einfach gar kein Fleisch mehr zu essen. Man macht einen Zaun um das Gesetz. Dann lieber Gemüse essen. Sie machen quasi einen Zaun um das Gesetz, wollen ganz sichergehen, dass sie das richtige tun. Ist das zu verwerfen?

Doch wer sind eigentlich die „Schwachen“ und wer die „Starken“? Streiten hier Judenchristen, also Christen die in jüdischer Tradition leben, mit den Geh- und Verboten des Judentums aufgewachsen sind, mit Heidenchristen, Christen, die aus dem Völkern stammen, denen das Judentum zumindest weniger vertraut ist, die eine andere religiöse Prägung haben?
Dafür spricht auch die nächste Konfliktlinie, die aufgezeigt wird.

Der andere macht zwischen den Tagen keinen Unterschied. Jeder soll fest zu seiner eigenen Auffassung stehen! Wer einen bestimmten Tag besonders beachtet, tut dies, um den Herrn zu ehren.

Wie in unserem Eingangsbeispiel, gewichten hier Menschen Dinge anders, setzen für sich andere Prioritäten und beurteilen andere danach, wie sie ihre Prioritäten setzen?
Wie steht es mit unserer Verantwortung für die Schöpfung? Wie steht es mit der Verantwortung für unsere Mitmenschen, die wir auch bei jedem Einkauf wahrnehmen können? Wie ist es damit, den Feiertag zu heiligen? Was ist der höchste Feiertag ist Christentum? Weihnachten oder Ostern? Oder doch eher Karfreitag oder Pfingsten? Oder halten wir es wie im Judentum. Hier brachte es einmal ein jüdischer Professor sehr gut auf den Punkt: De Jure, ist im Judentum der höchste Feiertag der Sabbat. Er ist der einzige Feiertag, der direkt bei der Schöpfung von Gott persönlich eingesetzt wird. Alles andere kommt erst nachher, es ist nachrangig. Für uns Christen wäre demnach der Sonntag der höchste Feiertag. Da beide jedoch jede Woche gefeiert werden, gehören sie zum Alltag, und de facto werden alle anderen Feiertage als höher angesehen, bei uns Christen besonders Weihnachten.

Letztlich, schreibt jedoch Paulus, ist dies egal. Wer für dieses egal einen Fachbegriff sucht: Es ist Adiaphora. Übertragen, es ist nicht heilsrelevant, welcher Feiertag für uns der Wichtigste ist, es ist nicht heilsrelevant, ob wir Fleisch oder kein Fleisch essen, nicht einmal, ob wir an Weihnachten in die Kirche gehen, oder Ostern für wichtiger halten. Sogar Nutella essen und Flugreisen sind nichts, das uns vom Heil trennt. Paulus schreibt, schaut auf das Wesentliche. Das Wesentliche ist nicht, was du meinst oder was ich meine. Es besteht auch nicht darin, dass wir im Glauben unsere Kräfte messen. Wo eine stärker ist und ein anderer schwächer. Das Wesentliche liegt nicht darin, dass wir uns gegenseitig sagen, wie es eigentlich richtig wäre, und wer besser ist. Sondern es liegt darin, wie wir als Gemeinde eine Gemeinschaft bilden. Dass wir Toleranz üben. Den anderen im Blick haben, auf seine Bedürfnisse achten und sie ernst nehmen. Das wir unsere Geschwister achten, auch wenn wir die Dinge manchmal unterschiedlich sehen.
Keiner lebt sich selber oder stirbt sich selber, sondern wir sind eine Gemeinschaft und gehören alle zu Christus. Lasst den Streit bleiben. Regt euch nicht über Kleinkram auf. Verliert euch nicht in Richtigkeiten. Sondern richtet euch in aller Vielfalt aus an dem einen, den wir unseren Herrn nennen.

Wir allen leben für Christus, das ist das Entscheidende, das ist die Gemeinsamkeit. Er ist es, der die Gemeinschaft stiftet. Ich bin dazu aufgerufen, in dieser Gemeinschaft, mit meinen Mitchristen zu leben. Dabei bin ich gleicher und gleichen. Egal wie fromm ich lebe, egal wie unfromm ich den Lebenstil meines Mitchristen einordne, ich bin nicht besser als er oder sie. Es gibt in dieser Gemeinschaft nur einen, der richtet, ich bin von dieser Last befreit. „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“, sagt Jesus in der Bergpredigt. Es ist ein ganz ähnlicher Gedanke hier. Rechthaberei führt nicht zu Gerechtigkeit, sondern zu Streit und Trennung. Marshall B. Rosenberg, der Erfinder der gewaltfreien Kommunikation, hat gesagt: „Willst du Recht haben oder glücklich sein? Beides zugleich geht nicht.“ Übertragen würde es heißen, willst Du recht haben und deine Meinung durchsetzen, oder Teil einer friedlichen Gemeinschaft sein?

9Denn dafür ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden:
Er sollte der Herr sein über die Toten und die Lebenden.

10Du Mensch, was bringt dich nur dazu,
deinen Bruder oder deine Schwester zu verurteilen?
Und du Mensch, was bringt dich dazu,
deinen Bruder oder deine Schwester zu verachten?

Paulus schreibt, was wirklich wichtig ist, wenn man mit anderen zusammenlebt: Streitet nicht über Meinungen. Nehmt euch selbst zurück. Wahre Gerechtigkeit ist Gerechtigkeit vor Gott.
Was wir tun können, ist ehrlich mit uns und mit anderen zu sprechen, uns gegenseitig zuzuhören und andere Menschen anzunehmen, so wie sie sind, als meine Nächsten, als Geschwister in Christus. So, wie ich mir das für mich selbst auch von Gott erhoffe. Dass ich Christus zu mir steht, selbst angesichts der Schuld, mit der ich durchs Leben gehe, die ich im Leben unweigerlich auf mich lade.

Wir werden doch alle vor dem Richterstuhl Gottes stehen!
11Denn in der Heiligen Schrift steht:
»›Bei meinem Leben‹, spricht der Herr: ›Vor mir wird jedes Knie sich beugen, und jede Zunge wird sich zu Gott bekennen.‹«
12So wird jeder von uns vor Gott Rechenschaft über sich selbst geben müssen.

Der Richterstuhl Gottes verbindet hier das Weltgeschehen, mit dem eigenen Leben. Sein Auftreten ist ein Ereignis, dass sowohl die ganze Welt betrifft als auch mich als Einzelnen.

An Schuld, an die Opfer von Gewalt, erinnert uns der Volkstrauertag. Er erinnert uns Christen auch daran, dass wir eines Tages Gott Rechenschaft abgeben, über unser Leben, über uns Tun, ebenso wie über unser Lassen. Haben wir uns dazu hinreißen lassen, andere Menschen abzuwerten, haben wir uns dazu hinreißen lassen, die Welt aus egoistischen Motiven mit Streit, bis hin zum Krieg, zu überziehen, egal, wie groß oder klein unser Beitrag dazu war? Oder haben wir uns darauf konzentriert, dass wir Christus verkündigen sollen? Haben wir unser Leben in den Dienst des Evangeliums gestellt? Sind wir, wo immer es uns möglich war, unseren Mitmenschen mit Nächstenliebe oder wenigstens Achtung begegnet, anstatt mit schnellen Verurteilungen.

Das wir uns später einmal vorwerfen lassen müssen, „dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher und nicht brennender geliebt haben“, wie es im Stuttgarter Schuldbekenntnis der Rat der EKD zum Ausdruck bringt.

Also:

13Lasst uns aufhören, uns gegenseitig zu verurteilen!
Achtet vielmehr darauf, den Bruder oder die Schwester nicht zu Fall zu bringen.
Werdet auch nicht zum Stolperstein für sie.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen

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