Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus.
Liebe Gemeinde,
„Ganz wie der Vater“ oder auch „ganz wie die Mutter“.
Wer von uns hat einen solchen Satz noch nie gehört?
Oft
wissen wir auch, „Ganz wie der Vater oder die Mutter“, das trifft
es nicht so ganz.
Dieser Satz kann zu zwei Seiten hin falsch
verstanden werden.
Auf
der einen Seite ist jede und jeder doch immer ein eigenständiger
Mensch, kann also nie „ganz wie der Vater oder die Mutter“
sein.
Auf der anderen Seite wissen wir auch:
manchmal
reichen solche Ähnlichkeiten weiter zurück.
Die Großeltern
oder die Urgroßeltern trugen auch schon manche Züge,
die man hier nun an dem Sohn oder der Tochter,
bzw. den Enkeln oder auch Urenkeln wiedererkennt.
„Ganz“ wie der Vater/Großvater, die Mutter/Urgroßmutter, ist man dann zwar noch nicht, aber bestimmte Dinge übernimmt man. Es wächst eine kleine oder große Tradition.
Da
treten die Kinder zum Beispiel in die Fußspuren der Eltern,
Großeltern oder Urgroßeltern.
In Bad Berleburg wurde mir diese
Verbundenheit auch an den Hausnamen deutlich, die von Generation zu
Generation weitergegeben werden, oft zusammen mit den Geschichten zum
Haus, oder seinem Erbauern.
Ähnlich ist es mit manchem Familienbetrieb.
„Familienbetrieb
in der zweiten oder dritten Generation“, so war es bei der Firma,
bei der ich einst meine Ausbildung begann,
so ist es auch mit
der Firma im Raum Bielefeld, die nach dem plötzlichen Tod seines
Vaters nun mein bester Freund leitet.
Da gibt es ein Bewusstsein
für die Verantwortung des Chefs, gegenüber seinen Mitarbeitenden,
die oft von der Jugendzeit bis zur Übernahme des Unternehmens immer
wieder auch thematisiert wurde.
Da gibt es oft einen gewissen
„Ehrenkodex“, der weitergegeben wird:
Zum Beispiel,
Ehrlichkeit gegenüber dem Kunden, und Wertschätzung im Umgang mit
den Mitarbeitenden, gegenseitiger Respekt vor den unterschiedlichen
Gaben.
Ebenso zählt die Qualität der Arbeit oder auch
Engagement für die Gemeinschaft.
Es sind Betriebe, bei denen
ich gern Kunde oder Mitarbeitender wäre.
„Ganz
der Vater“ oder auch „Ganz die Mutter“–
das kann dann
eine Ehrenbezeichnung sein.
Man hat es geschafft, die Prinzipien des Vaters oder der Mutter zu verinnerlichen.
Oder aus der Sicht der Eltern, man hat es geschafft, seinen Kindern etwas mit auf den Weg zu geben, was einem selbst wichtig ist, und ihnen wichtig geworden ist.
Es
ist dann mehr als eine Handlungsanweisung.
Es ist einem in
Fleisch und Blut übergegangen.
Ja, manchmal ist es sogar zu einem Wesenszug geworden.
Sind
Sie, ganz oder teilweise ihr Vater oder ihre Mutter?
Kann man
erkennen, woher Sie kommen?
Wollen Sie, dass man erkennt, woher
Sie kommen?
Welche Einstellungen, welche Vorstellung und Ideale,
welche Grundsätze, prägen Sie? (Pause)
Die Frage ist nicht rhetorisch, es interessiert mich wirklich, und ich würde mich freuen, wenn sie nachher beim Kirchcaffee etwas Zeit hätten, dass wir darüber, oder über die Predigt ins Gespräch kommen können.
Unser heutiger Predigttext spricht solche Werte an. Er steht im Evangelium nach Lukas, Kapitel 6, die Verse 36 bis 42:
36 Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.
37 Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.
38 Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch zumessen.
39 Er sagte ihnen aber auch ein Gleichnis: Kann denn ein Blinder einem Blinden den Weg weisen? Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen?
40 Ein Jünger steht nicht über dem Meister; wer aber alles gelernt hat, der ist wie sein Meister.
41 Was siehst du den Splitter in deines Bruders Auge, aber den Balken im eigenen Auge nimmst du nicht wahr?
42 Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt still, Bruder, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, danach kannst du sehen und den Splitter aus deines Bruders Auge ziehen.
Jesus spricht in seiner Rede einige Grundsätzeund Einstellungen an.
Ab Hier Moves und structures und der Keysentence „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist“
36 Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.
37 richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.
So schnell, wie wir über andere geurteilt haben, so urteilen auch andere über uns. Ein schneller Blick, eine kurze Einschätzung und schon haben wir oft unser Gegenüber beurteilt.
Wie z. B. den vermeintlichen Bettler der betrunken in der Bank liegt, über den viele Bankkunden einfach hinwegsteigen.
Einige
werden sich daran noch erinnern, es war vor einigen Jahren recht groß
in den Medien.
„Der ist doch bestimmt selbst Schuld an seiner
Situation“, wird sich wohl der ein oder andere Bankkunde gedacht
haben, und stieg hinüber.
Inzwischen
wissen wir, das ging in mehrfacher Hinsicht so richtig schief.
Schon
die Wahrnehmung war falsch. Der Mann war nicht betrunken.
Dort
lag ein Mensch, der einen Schlaganfall erlitten hat. Der dringend
Hilfe brauchte und so
nur eine Verurteilung bekam. Faktisch kam
es so einem Todesurteil für ihn gleich.
Aber
selbst wenn er „nur“ betrunken gewesen wäre, hätte er dennoch
Hilfe verdient und gebraucht.
Selbst betrunken ist er noch
Mensch.
Eine schnelle Verurteilung kann tödlich sein, zeigt das Beispiel.
36 Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.
37 richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.
Oft
meinen wir zu schnell zu wissen wer uns gegenübersteht, auf den
ersten Blick ordnen
wir
die Person ein: Mann – Frau, Alt- Jung, sympathisch – unsympathisch
und von manchen Menschen hält man sich dann eben fern, weil es die
anderen sind: die einem Fremd sind, weil sie anders aussehen, anders
leben, oder weil sie einen schlechten Ruf haben…
Aber wie können wir anders leben?
Jesus
hat es uns vorgemacht, wie es besser geht.
Wie es sich anfühlt,
haben die Menschen erfahren, die ihn direkt erlebt haben.
Wie es
sich anfühlt, erleben wir heute, wenn wir die Geschichten und Briefe
des Neuen Testaments lesen.
Wie es sich anfühlt, erleben wir in
der Gemeinschaft der Christinnen und Christen.
Wir erleben es
dort, wo „Einer des anderen Last trägt“
Als ich noch um
einiges jünger faszinierte mich eine Aktion.
Die
Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren an einem kleinen Armband mit der
Aufschrift „wwjd – what would jesus do“ erkennbar, zu deutsch:
„Was würde Jesus tun?“.
Eine interessante Frage, eine
schwere Frage, und für uns Christen eine Frage,
die wir uns
oft stellen.
Wie schnell sind wir oft mit unserem Urteil, hart und wie endgültig.
Wie unbarmherzig, wenn andere so über uns urteilen würden, oder?
Was würde Jesus tun?
Er handelt und spricht
36 Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.
37 Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.
Selbsterkenntnis
gehört zu einer Haltung dazu, die die eigenen Verhaltensweisen und
Handlungen in einen größeren Zusammenhang stellen kann.
Selbsterkenntnis, dass man selbst ja auch Fehler hat und Fehler
macht. Niemand ist perfekt.
Auch, oder vor allen, ich selbst nicht.
Wir alle sind auf Barmherzigkeit angewiesen,
auf die Gottes und auf die unserer Mitmenschen.
41 Was siehst du den Splitter in deines Bruders Auge, aber den Balken im eigenen Auge nimmst du nicht wahr?
42 Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt still, Bruder, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, danach kannst du sehen und den Splitter aus deines Bruders Auge ziehen.
Selbsterkenntnis
gehört dazu, um den eigenen Blick zu schärfen.
Zuerst die
eigenen Fehler zu erkennen, bevor man die Fehler der anderen
anspricht. Das ist wichtig, Fehler sollten angesprochen werden, aber
Grundlage für solche Gespräche sollte auch dann immer das sein, was
Jesus in seiner Rede hier allem voranstellt.
36 Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.
Bonhoeffer schreibt dazu einmal sehr treffend
Ich
glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind,
und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu
werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten.
Gottes
Perspektive ist hier die Perspektive der Barmherzigkeit.
Er
kennt unsere Fehler, er weiß, dass aus ihnen auch gutes erwachsen
kann.
Wir können unser Leben nur vorwärts leben,
verstehen es jedoch nur rückwärts.
Bereits durch diesen kleinen Perspektivwechsel bekommt vieles, was wir einst als Fehler sahen, eine andere Bedeutrung.
Gottes Perspektive ist hier noch ein größer und weiter.
36 Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.
„Ganz
der Vater“ – das sagten die Menschen auch von Jesus.
Er
zeigt die Barmherzigkeit Gottes:
Er verurteilte die Ehebrecherin
nicht. Er sagte: Geh hin und sündige nicht mehr.
Er ruft zur
Umkehr auf, anstatt zu verurteilen.
Heute würde man dies
konstruktive Kritik nennen.
Hier
ist es mehr.
Hier kann sie Grundlage für ein neues Leben sein,
einen neuen Anfang mit Gott.
Gott lebt es vor.
„Ganz der Vater“ – das sagten die Menschen, als er den Gelähmten heilte, als er Lazarus zum Leben erweckte, als er bei Zachäus einkehrte, als er Wasser in Wein verwandelte, als er das Brot vermehrte.
„Ganz der Vater“ – in Jesus haben die Menschen Gott erkannt.
In
Jesus ist Gott Menschen geworden,
trat in den direktesten
Kontakt mit uns Menschen.
Er hat sich ganz auf uns
eingelassen.
Er hat sich für uns in Leid und Tod ausgeliefert.
38 Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch messen.
Gott
gibt sich, Gott gibt denen, die den Mut haben selbst zu geben.
Die
den Mut aufbringen Barmherzigkeit zu geben.
36 Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.
Ja,
so ist Gott. Gott ist barmherzig und wir dürfen ihn Vater
nennen.
Gott wendet sich den Menschen zu.
Gott gibt,
nicht
nur unser täglich Brot,
sondern sogar sich selbst für uns.
Er
heilt,
er verzeiht,
er stärkt die Schwachen,
er
richtet die Niedergedrückten auf,
den Armen verhilft er zu
ihrem Recht.
Das tat er damals, in Jesus Christus.
Das tut
er aber auch heute noch.
36 Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.
Das ist der Aufruf, es ist ihm gleich zu tun.
Ich
bin überzeugt,
Gott
ist mit den Ertrinkenden Menschen im Mittelmeer.
Gott ist mit
bei denen, die Missbrauch im Namen oder im Umfeld des Glaubens
erfahren haben.
Gott ist mit denen, die unter Verfolgung und
Angst leiden.
Gott ist aber auch mit uns, wenn wir diesen
Menschen helfen wollen.
Wir sollen es auch sein.
Er
hat uns damit vorgelebt, was Barmherzigkeit heißt.
Er ruft uns
damit zur Nachfolge auf,
an uns ist es nun zu folgen, was wir
häufig bereits tun.
Denn weil Gott ein barmherziger Gott ist, Jesus Christus barmherzig war und ist, deshalb sollen auch wir barmherzig sein.
Kurzgefasst:
36
Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.
Wenn wir ebenfalls so handeln, dann werden vielleicht die Menschen, die uns erleben auch sagen „Ganz der Vater“.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere menschliche Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.