Liebe Gemeinde,
es reicht, jetzt ist aber wirklich mal Schluss mit lustig, so kann das hier nicht weitergehen. So werde ich das hier nicht weiter mitmachen. Es muss sich etwas ändern, und das werde ich jetzt herbeiführen.
Ich lasse mir das nicht mehr bieten, das Maß ist voll, übervoll, und nun werde ich allen zeigen, dass ich auch anders kann. Jetzt ist die Zeit der Rache, und die Rache ist mein.
Ich denke wir alle kennen solche Gedanken aus unserem Alltag, sei es im Beruf oder im privaten Leben. Es gibt Grenzen, es gibt Dinge, die lässt man sich nicht gefallen. Irgendwann kommt das Prinzip zum Tragen, wie Du mir, so ich dir. Oder wie es schon im Alten Testament heißt: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“.
Das ist bestimmt auch gut, für die psychische Gesundheit. Wir haben ja letzten Sonntag in der Kirche gehört, dass unsere Seele das Wertvollste ist. Wir sollen sie schützen, wir sollen sie trainieren, wir sollen auf sie achten, damit wir nicht krank werden.
Und nun schütze ich meine Seele, ich gehe jetzt in die Offensive. Ist nicht Offensive die beste Verteidigung? Und darum gibt es jetzt einmal so richtig etwas auf die Mütze. Also, natürlich nur verbal, draufhauen darf man ja nicht. Auch wenn sich das letzte schon, wie ein harter Schlag ins Gesicht anfühlte, heimzahlen, tue ich es lieber anders. Dazu passt ja auch die heutige Epistel ganz gut, wir haben es ja eben alle gehört:
„Legt alle Waffen an, die Gott euch gibt. Dann könnt ihr dem Teufel und seiner Hinterlist widerstehen.“
Machen wir es einmal wie Paulus, widerstehen wir, mitten ins Angesicht!
Doch unser heutiger Predigttext schlägt einen ganz anderen Ton an. Hören wir nochmal auf Mt 5,38-48 (vorlesen lassen):
38 Ihr habt gehört, dass Gott gesagt hat: Auge um Auge und Zahn um Zahn.
39 Ich lege euch das heute so aus: Leistet dem Bösen nicht mit gleichen Mitteln Widerstand. Vielmehr, wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, halte ihm auch die andere Backe hin. 40Und wenn jemand gegen dich prozessiert, um dein Hemd zu bekommen, gib diesem Menschen auch deinen Mantel. 41Wenn dich jemand zur Zwangsarbeit für eine Meile Weg nötigt, gehe mit ihm zwei. 42Gib denen, die dich darum bitten, und wende dich nicht ab von denen, die etwas von dir borgen wollen. 43 Ihr habt gehört, dass Gott gesagt hat: Liebe deine Nächste und deinen Nächsten und hasse die feindliche Macht. 44 Ich lege das heute so aus: Begegnet denen, die euch Feindschaft entgegenbringen, mit Liebe und betet für die, die euch verfolgen. 45So werdet ihr *Töchter und Söhne *Gottes, eures Vaters und eurer Mutter im Himmel, die ihre Sonne über Böse und Gute aufgehen lässt und es über Gerechte und Ungerechte regnen lässt. 46Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, welchen Lohn wird Gott euch geben? Tun das nicht auch die Zöllnerinnen und Zöllner? 47Und wenn ihr nur eure Geschwister grüßt, was tut ihr Großartiges? Tun das nicht auch die Menschen aus den *Völkern? 48 Seid nun vollkommen, wie euer *Gott im Himmel vollkommen ist.
Auge um Auge, Zahn um Zahn, wie du mir so ich dir. Das Gebot, das für uns grausam klingt, hatte zunächst einmal den Sinn, Gewalt einzugrenzen. Die Sitte der Blutrache löschte oft ganze Familienzweige aus, weil eben nicht gleiches mit gleichem vergolten wurde, sondern man wollte mehr Rache nehmen, was eine Spirale der Gewalt in Gang setzte. Daher wird Gewalt und auch Rache, in der Bibel immer wieder begrenzt, dafür wurden Gebote erlassen. Es war dabei nicht so, dass ich das gleiche Unrecht, dass ich erlitten habe, nun meinem nächsten antun durfte. Vielmehr zielt dieser Grundsatz auf eine Ersatzsühne, eine Geldleistung, eine Strafe. Die Strafe war jedoch gleich, für alle Menschen. Eine Ersatzleistung, als Sache oder Dienst, später als Geld. Niemand gewinnt, wenn jemand zweites noch ein Auge verliert, oder etwas anderes. Die Eingrenzung von Gewalt ist notwendig, damit Leben gelingen kann. Willkür wird hier ausgehebelt, und durch Gottes Gebote ersetzt. Gebote, die ein zusammenleben ermöglichen, die Gemeinschaft wachsen lassen, die Leben ermöglichen.
Jesus geht hier noch weiter, er leitet seine Rede ein mit den Worten „Ich lege euch das heute so aus“ oder mit den uns eher vertrauten Worten Luthers: „Ich aber sage euch“. Diese Wendung ist häufiger in der Bergpredigt anzutreffen und sie ist vieldiskutiert. Häufig wurde er verstanden als Ausdruck des autoritativen Ich des Gottessohnes, der sich hier von althergebrachten jüdischen Traditionen, oder der Torah, löst. Das passt aber ganz und gar nicht ins Matthäusevangelium, denn hier wir Jesus immer als Teil der jüdischen Tradition verstanden. Vielmehr ist dies eine geläufige Wendung aus rabbinischen Lehrgesprächen. Sie leitet nicht eine Gegenrede ein, sondern eine Alternative meist strengere Auslegung. Diese folgt auch prompt.
„Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, halte ihm auch die andere Backe hin. Und wenn jemand gegen dich prozessiert, um dein Hemd zu bekommen, gib diesem Menschen auch deinen Mantel. Wenn dich jemand zur Zwangsarbeit für eine Meile Weg nötigt, gehe mit ihm zwei.“
Drei Bilder, drei Alltagssituationen, die die damaligen Hörer von Jesus nur zu gut kannten.
Erstens: der Schlag auf die Wange galt früher, und gilt auch noch heute in vielen Kulturen als sehr entehrend. Besonders ein Schlag auf die rechte Wange, weil dieser mit der Rückhand ausgeführt wird. Auf ihn nicht zu reagieren, war quasi unvorstellbar. Noch unverstellbarer auch die andere Wange hinzuhalten.
Das zweite Bild entstammt ein Gerichtsprozess. Einem Prozess zur Schuldenbegleichung, in dem das Hemd eines Menschen verlangt wird als Gegenwert. Die Menschen damals hatten noch keinen Schrank voller Kleidungsstücke, sie waren wertvoll und wichtig. Ein Hemd zu verlieren war schon schlimm, aber den Mantel bzw. das Obergewand zu verlieren katastrophal, denn „es ist doch nachts […] [die] einzige Decke [des Armen], mit der er sich zudecken kann“, wie es im 2.Buch Mose heißt. Daher darf der Mantel nicht gepfändet werden.
Und zum Schluss: Das mit jemanden Gehen. Eine Zwangsarbeit die römische Soldaten in besetzten Gebieten einfordern konnten. Sie riss einen Menschen aus seinem Alltag. Sie wurde nicht vergütet, und raubte viel Zeit, nicht nur den Weg, den der Mensch mit dem Soldaten ging, sondern auch den Weg zurück. Wer hier die doppelte Strecke mitgeht, erbringt den vierfachen Aufwand. Er geht jedoch nicht nur mit, er trägt auch das schwere Marschgepäck für den Soldaten. Er übernimmt seine buchstäblich seine Last. Er trägt das Gepäck für einen Feind, freiwillig, weiter als er müsste.
Jesus löst die gegebenen Gebote in Ihrer Geltung nicht auf, sondern er verschärft sie. Damit wird die Spirale der Gewalt, nicht nur eingegrenzt, sondern abgebrochen. Zugleich sind die Bilder, die Verschärfungen die Jesus bietet derart absurd, dass die dahinterstehende Situation der Gewalt ins Lächerliche geführt wird. Er bietet mit diesen Bildern eine kreative Art mit scheinbar ausweglosen Situationen umzugehen, in denen man sich gefangen fühlt. Es ist kein passives alles Ertragen und zum Spielball menschlichen Handelns werden. Nein, Jesus zeigt eine Lösung auf auch in einer Situation, in der ich durch äußere Umstände fremdbestimmt bin, wieder selbstwirksam zu werden. Ich kann handeln und ich kann meine Situation selbst in die Hand nehmen, auch wenn ich nichts daran ändern kann, dass ich geschlagen wurde, doch dass ich die andere Wange hinhalte ist meine Entscheidung. Meine Entscheidung, die die Handlung des anderen bloßstellt und zeigt, wie irrsinnig und zerstörerisch die Spirale der Gewalt doch eigentlich ist. Hier geht es nicht um die große Politik, hier geht es darum, dass zeigen auch die Beispiele, wie wir Christen, durch unseren Herrn Jesus Christus, dazu aufgerufen werden, in unserem Alltag zu handeln. Was wir im kleinen tun können und sollten.
Das Loslassen der Rachegelüst, das Loslassen der Vergangenheit, der Dinge, die man nicht mehr ändern kann. Die auch mit Rache nicht mehr besser werden, sondern nur einen weiter beherrschen und belasten, kann heilsam sein. Dazu kann auch das Durchbrechen von Kreisläufen zählen. Es kann das Loslassen des Vergangenen sein, dass ich eigentlich nicht mehr ändern kann. Das Akzeptieren, dass Vergangenes vergangen ist. Ich kann meine Seele aus den Fesseln dieser Vergangenheit befreien, und ihr damit den Raum geben, damit Verletzungen anfangen zu heilen können. Das Durchbrechen von Kreisläufen der Konflikte im Privaten, in Gemeinschaften, oder gar Feindschaften.
In unserem Predigttext heißt es weiter:
„Ihr habt gehört, dass Gott gesagt hat: Liebe deine Nächste und deinen Nächsten und hasse die feindliche Macht. Ich lege das heute so aus: Begegnet denen, die euch Feindschaft entgegenbringen, mit Liebe und betet für die, die euch verfolgen. So werdet ihr *Töchter und Söhne *Gottes, eures Vaters und eurer Mutter im Himmel, die ihre Sonne über Böse und Gute aufgehen lässt und es über Gerechte und Ungerechte regnen lässt.
Liebe meint hier nicht, dass ich die Person, die bisher mein Feind war, innig emotional lieben soll, sondern ich soll gut an ihr handeln. Dass ich mir die Freiheit nehme, anders zu handeln als erwartet, aus den scheinbaren Zwängen ausbreche, mich als so groß erweise, dass ich keine Rache brauche. Ich kann loslassen, was bisher da war, kann es in die Vergangenheit entlassen, und mich einer neuen Zukunft widmen. Vielleicht eine Zukunft, in der mein jetziger Feind, sich selbst auch nicht mehr als mein Feind sieht, sondern als mein Mitmensch. Kurzum, alle Menschen sind nun meine Nächsten. Egal, wie sie zu mir stehen. Jeden Menschen kann man so als das wahrnehmen, was er oder sie ist. Ebenbild Gottes in seiner Schöpfung. Er oder sie ist damit in allererster Linie ein Mensch, ein Geschöpf Gottes, wie Ich, wie wir alle, auch ein Geschöpfe Gottes sind.
Die Begründung für diese Perspektive folgt: „Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, welchen Lohn wird Gott euch geben? Tun das nicht auch die Zöllnerinnen und Zöllner? Und wenn ihr nur eure Geschwister grüßt, was tut ihr Großartiges? Tun das nicht auch die Menschen aus den *Völkern? Seid nun vollkommen, wie euer *Gott im Himmel vollkommen ist.“
Gott selbst, trifft hier keine Unterscheidung zwischen Gerechten und Ungerechten, er schenkt jedem Menschen jeden Tag einen neuen Sonnenaufgang und gibt jedem Menschen die Grundlage für sein Leben und damit auch einen Tag, an dem er sein Leben zum Positiven wenden kann.
Das ist ein großer Anspruch: gerecht zu sein wie Gott.
Eine höhere Gerechtigkeit zu haben als andere Menschen. Dieser Anspruch ist sehr groß, eine große Bürde, die Jesus uns da auflegt. Und die Gefahr zu scheitern ist ebenso groß. Doch wir sind mit diesem Anspruch nicht allein. Einher geht mit ihm der Zuspruch Jesu Christi an unserer Seite zu sein. Er ist dort, egal ob wir scheitern oder Erfolg haben. Wichtig ist ihm, dass wir uns in der Nachfolge immer wieder versuchen. Das wir in unserem Versuchen sichtbar sind, indem wir unseren Glauben als Christen in den Alltag tragen, ihn dort mit Leben füllen. Mit jedem bisschen davon, mit jeder noch so kleinen Geste, mit jedem Wort, verändern wir durch Gottes Kraft dann die Welt etwas zum Guten. Indem wir nicht erst darauf warten, dass andere aktiv werden, wie es derzeit häufig bei denen Problemen ist, die wir im Land haben, sondern indem wir selbst die ersten sind, die Handeln, auch in der Gefahr, dabei Fehler zu machen, denn als Christen wissen wir, auch in unseren vermeintlichen Fehlern, sind wir bei Gott angenommen. Wie wenig riskiere wir dabei, wieviel könnte wir damit gewinnen?
Es ist wie mit der psychischen Gesundheit, wie mit Gesundheit allgemein, und mit guten Vorsätzen ebenso, am besten fängt man sofort an, auf sie zu achten, und nicht erst irgendwann später, denn schnell könnte es dann auch zu spät sein.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus